Donnerstag, 2. März 2006

...

„Technology changes. Economic laws do not.”(54)
Carl Shapiro, Hal R. Varian


“We tend to think, as we are taught, that economic laws are timeless. That is plain wrong.“ (55)
Michael H. Goldhaber


Einen Punkt aus Schmidts Modell, den ich an dieser Stelle aufnehmen möchte, ist im Bereich der Relationen die ‚Kanalisierung von Aufmerksamkeit’ und das ‚Sozialkapital’. Denn hier lassen sich, ohne Verknüpfungen innerhalb Schmidts Modell herstellen zu wollen, die Diskussionen um eine Theorie der Ökonomie der Aufmerksamkeit anschließen, die ebenso erst in Ansätzen besteht, und gleichfalls interdisziplinäre Erwägungen verlangt.(56)
Am Anfang steht dabei die Behauptung, dass „Weblogs die freiesten Medien sind, die die Welt je gesehen hat.“(57) Weblogs sind größtenteils kostenlos, und erlauben das Veröffentlichen von Inhalten, wenn man einen Zugang zum Internet besitzt. Zwar können sie für die Verbesserung von Unternehmenskommunikation eingesetzt werden, aber abgesehen vom Verkauf von Werbeplätzen, customer demographics(58), versioning(59) oder dem Bezahlen von speziellen Zusätzen, wie z.B. mehr Speicherplatz oder das ‚Wegkaufen’ der Belästigung durch Werbefenster, lässt sich das Publizieren nicht mit bisherigen Bezahlungsformen lösen.(60) Aufgrund der fehlenden Zutrittsbarrieren, der unlimitierten Reproduktion und Verteilung zu niedrigen Fixkosten, oder wegen fehlender Versorgungsengpässe, bewirken Weblogs, dass die wenigen Leute, die daran verdienen, dies indirekt tun. Weblogs filtern keine Autoren aus – oder selten, wie z.B. bei der Blog-Gemeinschaft Antville, aufgrund von Zugangsbeschränkungen,(61) oder bei Orkut durch die obligatorische Einladung – und gestatten massenhafte Amateurpublikationen. Die Menschen, die noch am meisten davon profitierten, sind diejenigen, die konventionelle Bücher über das Bloggen schreiben. Das Bezahlen der Benutzer für Weblogs, wie auch für andere immaterielle Informationsgüter,(62) ist rar.(63)
Trotz der anzunehmenden Gleichheit aller freien Blogs im Internet, führen bestimmte Netzwerkeffekte und power laws zur positiven Verstärkung weniger Anbieter, die sogenannte A-List,(64) die eine große Prozentzahl von Benutzern für sich einnehmen, und sie durch lock-in Effekte, wie z.B. immaterielle switching costs oder Opportunitätskosten beim Neuanlegen eines Weblogs, halten können.(65) Auch für die Blogs gilt: „Positives Feedback macht die Starken stärker … und die Schwachen schwächer.“(66) Wenn auch ‚nur’ symbolisch. Neue Benutzer profitieren von Netzwerken mit großen Teilnehmerzahlen, da sich für sie die Möglichkeit der Vernetzung erhöht. Parolen wie Bigger is better und The Winner-Take-All Society, oder die 80/20-Regel bestätigen sich nach Analysen auch für Blogs.(67)
Die ungleiche Verteilung von Aufmerksamkeit in einem System, in dem jeder Benutzer frei entscheiden kann, ohne Kontrolle und Manipulation, und ohne dafür zahlen zu müssen, zeigt, dass, obwohl jeder mitreden kann, nicht jeder gehört wird. Nur ein Kern scheint die meisten Verknüpfungen für sich beanspruchen zu können. Das gilt unter, wie innerhalb der Blogs, in denen beispielsweise Autoren aus der Anfangsphase einer community größere Popularität genießen.(68) Die fessellose Vielheit und die Freiheit der Wahl schaffen ein Ungleichgewicht. Die Benutzer, die unter vielen Optionen wählen können, schenken ihre Aufmerksamkeit einer Minderheit, ohne dass die Beschenkten für dieses Einkommen arbeiten müssen. Allein der Akt der unendlichen und freien Wahl schafft diese ungleichmäßige Aufteilung. Die Popularität der Einzelnen, als ‚Weblog-Stars’ entsteht nicht als Ergebnis einer Clique untereinander, die sich unterstützt, sondern durch die Beachtung vieler Teilnehmer.
Nach einer Prognose der Fallstudie Jan Schmidts, wird sich die Bloggersphäre zukünftig in ‚Micro-Communities’ innerhalb der Blogs aufteilen, die nicht auf große Aufmerksamkeit, sondern auf Kontakt mit Familienmitgliedern und Freunden aus sein werden.(69) Ein von Carl Shapiro und Hal R. Varian beschriebenes Problem stellt sich diesen Benutzern nicht entgegen:

„Jeder Idiot kann eine Web-Präsenz aufbauen – viel von ihnen haben eine. Das große Problem ist es, die Leute davon wissen zu lassen.“(70)

Obgleich dieser Entwicklung und der geschäftlichen Unbrauchbarkeit der Blogs, ist es sicherlich interessant und vielleicht sogar notwendig, mit einer Theorie der Ökonomie der Aufmerksamkeit, mit dem Haushalt als zentralen Akteur und Produzenten, der immaterielles kulturelles, symbolisches und soziales Kapital herstellt oder konsumiert, einzelne Fälle zu untersuchen, um zu einem besseren Verständnis der Ausformungen zu gelangen. Und diese Ökonomie im Kleinen ist nicht belanglos, wenn man davon ausgeht, dass es für

„die Politik des Alltags keineswegs gleichgültig (ist), welche Bilder wir konsumieren, mit wem wir uns zusammentun, was wir genießen, was wir witzig finden und was nicht. Da bestätigt sich dann wieder Spinozas Einsicht, daß der Spaß ein politischer ist.“(71)

Dies gilt desgleichen für die individuelle Produktion. Dem einzelnen Nutzer stehen beispielsweise knappe Ressourcen wie Zeit und Motivation als Währung in der Blog-Kommunikation zur Verfügung. Andere Ressourcen, wie symbolische Gratifikationen – so dürfen z.B. bei Orkut Freunde nur mit Smiles, Eiswürfeln, Sternen oder Herzen bewertet werden – können künstlich verknappt werden, um einen ökonomischen Rahmen zu erzeugen, der Aufmerksamkeiten zuteilt. Es handelt sich um verschiedene Aufmerksamkeiten, Präferenzen, Wahlhandlungen und zeitlich-variable Strategien. Die Empfänger, die fremd produzierte Inhalte wahrnehmen und kommunizieren, kommentieren; und die Produzenten, die für sich und andere Waren oder Leistungen herstellen, die Aufmerksamkeit erfordern, welche je nach Blog unterschiedliche Habitusformen und Wechselwirkungen hervorbringen kann. Zudem wird die Aufmerksamkeit durch die Software beeinflusst, wenn z.B. neue Einträge auf der Startseite für andere sichtbar werden, und bald darauf wieder verschwinden.(72)
Durch symbolische Auszeichnungen – wie die genannten, oder wie dies auch von Online-Marktplätzen wie Ebay oder Amazon bekannt ist – entsteht zudem eine Hierarchie unter den Benutzern, wenn neben einem selbstgewählten Icon angegeben wird, wie viele Käufe/Verkäufer der User bereits getätigt hat, wie viele Beiträge von ihm verfasst wurden oder wie lange er schon mit dabei ist. Durch diese generalisierten Symbole entstehen neue Qualitäten von community-Historien und Formen sozialen Zusammenlebens. So drücken schon seit längerer Zeit Emoticons die Gefühle aus, die wir niemals besaßen.
Bei der Ökonomie der Aufmerksamkeit geht es aber nicht nur darum, dass wir nur in begrenztem Maße über die vierundzwanzig Stunden pro Tag aus unserer ‚Zeit-Börse’ verwirtschaften können:

„Diese Einheiten menschlicher Zeit wurden unter dem Namen ‚eyeball-hours’ bekannt, und es wurden nach Leibeskräften TV-Shows und Websites produziert, die so ‚sticky’ sind, dass sie die Augäpfel lange genug beschäftigen, um ihnen eine Werbebotschaft unterzujubeln.“(73)

Die Strukturen des Internets, mit den Optionen des Speicherns und Löschens, copy and paste in unmenschlichen Verarbeitungsgeschwindigkeiten, kreieren andere Regeln der Aufmerksamkeit, die Georg Franck, schon vor dem Internet-Boom und der immateriellen Individualisierung und Zentrierung im Haushalt, in seiner Analysen über die Ökonomie der Aufmerksamkeit zur Debatte gestellt hat.(74)
Wie Manuel Castells spricht auch Franck, wenn auch nicht von einer realen Virtualität, von einer fundamentalen Transformation unseres Daseins, durch neue technisch ermöglichte Entscheidungsräume.

„Was es schwer macht, in diesem Gemisch aus entfesselter Vielfalt und produzierter Attraktivität die Kraft zur grundlegenden Umgestaltung der Wirklichkeit zu erkennen, ist unsere eingefleischte Neigung, die haptisch feste, im Sinn allgemeiner Zugänglichkeit öffentliche Welt für die eigentliche Wirklichkeit anzusehen, die Welt der übertragenen Bilder und publizierten Ansichten hingegen als phantomatische Scheinwelt.“(75)

Nach Franck werden dem Menschen aufgrund der Einsparung menschlicher Zeit durch digitale Schnelligkeiten, Expansionsmöglichkeiten der Aufmerksamkeit geboten, die zu einer zunehmenden Rastlosigkeit und Professionalisierung der Freizeit führen. Eingesparte Zeit wird effizient genutzt, um sich einem Überangebot von attraktiven Aufmerksamkeitsfängern zuzuwenden. Die Integration aller Botschaften in einem System, das diese über Bildschirme sichtbar werden lässt, und die nach Castells zu einem gemeinsamen kognitiven Standard führen, beansprucht durch ihre räumlich ubiquitär, sowie zeitlich simultane Zugänglichkeit, einen großen Anteil unserer Realitätserfahrung, die, so Franck, „nicht ohne Rückwirkung auf den zeitlichen und energetischen Haushalt subjektiven Erlebens“ bleiben wird. Zeit und Aufmerksamkeit sind mehr den je zuvor zum Engpassfaktor geworden, und sind dabei Geld als knappste Ressource zu überholen.

„Es ist aber abzusehen, daß es zu diesem Wechsel der Leitwährung kommt. Schon heute haben die Such-, Informations- und Transaktionskosten die Größenordnung (genaue Angaben liegen hier nicht vor) des Finanzierungsdiensts in der Wirtschaft.“(76)

Was den wissenschaftlichen Betrachtungen von Kommunikationsprozessen im Informationszeitalter nach Franck entgeht, ist die elementar, lebensnotwendige, wärmende Kraft dieser Aufmerksamkeit, die nicht nur in Zeit gemessen werden kann.(77) Aufmerksamkeit wird somit zum spürbaren Gut und zwischenmenschlichen Tauschobjekt, das emotional in die multimediale Kälte einbricht.

„So ersetzt ein Monitor die Augen eines anderen Menschen gewiß nicht. Erst wenn dessen Augen selbst auf dem Monitor erscheinen und in lebendigen Kontakt mit den eigenen treten, zählt der Kontakt als Bezug von Aufmerksamkeit.“(78)

Blogs machen diese durch Augen-Blicke gewonnene Aufmerksamkeit speicherbar, wiederholbar, räumlich und zeitlich in einem dauerhaften Original allgegenwärtig. Franck verortet den Wunsch zur visuellen Gabe und die Sorge, ungesehen unsichtbar zu bleiben, in einer glücksbedürftigen "Kultur des Narzissmus“(79), die sich materiell in Mode und Körperkult entblößt.
Die neuen Medien, wie die audiovisuelle Computerkommunikation, erlauben heute dem Einzelnen unkörperliche Aufmerksamkeit, mit berechenbarem Aufwand, bewusst und fortdauernd zu produzieren. Und dabei muss es nicht unbedingt um die Begierde zur internetweiten Beachtung und Prominenz gehen. Das Einkommen an aufmerksamer Zuwendung kann im Netz beliebig maximiert werden, um das persönliche Selbstwertgefühl zu steigern. Georg Franck formuliert dies folgendermaßen:

„Da unser Selbstwertgefühl nur zu offensichtlich von der Wertschätzung abhängt, die unsere Aufmerksamkeit durch andere erfährt, wäre es mithin lebensplanerisch rational - d.h. nicht länger nur intuitiv verlockend -, das Einkommen an Aufmerksamkeit in der Weise zu maximieren, in der nach herkömmlicher Lehre die rationalen Wirtschaftssubjekte Nutzen maximieren. Es hätte sich dann in den Fundamenten der Sozialpsychologie etwas verschoben.“(80)

Ohne über ex- und endogene, psychologische Umwandlungen zu sinnieren, kann festgehalten werden, dass dem Mensch im Netz größtenteils konform programmierte Moden vorgegeben sind, mit denen es seine Individualität managen kann. Ausgehend von Francks Ökonomie der Aufmerksamkeit, möchte ich mit einem Begriff anschließen, der in der Epoche der nicht-hierarchischen, nicht-zentralisierten, Aufmerksamkeiten verwaltenden Netzwerkgesellschaft der immateriell humanen Kommunikation eine neue Charakteristik zuweisen könnte: die Ökonomie der Sichtbarkeit.



(54) Carl Shapiro, Hal R. Varian: Information Rules: a strategic guide to the network economy, Boston, Harvard Business School Press, 1999, S. 2.

(55) Michael H. Goldhaber: >The Attention Economy. The natural economy of the net<, unter: http://www.firstmonday.dk/issues/issue2_4/goldhaber/

(56) Vgl. z.B.: Stefan Weber (Hrsg.): Theorien der Medien. Von der Kulturkritik bis zum Konstruktivismus, Konstanz, UVK Verlagsgesellschaft mbH, 2003, S. 86; Michael H. Goldhaber, a.a.O.; Hal R. Varian: >The Information Economy. How much will two bits be worth in the digital marketplace?<, unter: http://www.sims.berkeley.edu/~hal/pages/sciam.html

(57) Clay Shirky: >The FCC, Weblogs, and Inequality<, unter: http://shirky.com/writings/fcc_inequality.html . Allerdings nur bei einem sehr eingeschränkten Medienbegriff.

(58) Vgl. auch Carl Shapiro, Hal R. Varian, a.a.O., S. 33-37.

(59) Ebd., S. 65-67.

(60) Vgl. Clay Shirky: >Weblogs and the Mass Amateurization of Publishing<, unter: http://shirky.com/writings/weblogs_publishing.html

(61) Vgl. Jan Schmidt, a.a.O., S. 59f.

(62) Vgl. Clay Shirky: >Help, the price of information has fallen and it can´t get up<, unter: http://shirky.com/writings/ information_price.html

(63) Siehe z.B. die Fallstudie über twoday.net, in: Jan Schmidt, a.a.O., S. 49f.

(64) Vgl. Clay Shirky: >Power Laws, Weblogs, and Inequality<, unter: http://shirky.com/writings/powerlaw_weblog.html

(65) Siehe allgemein zum Thema Netzwerkeffekte: Carl Shapiro, Hal R. Varian, a.a.O., S. 173-225.

(66) Ebd., S. 174.

(67) Vgl. Clay Shirky: >Power Laws, Weblogs, and Inequality<, a.a.O. [Übersetzung aus dem Englischen: M.S.].

(68) Jan Schmidt, a.a.O., S. 62.

(69) Ebd.

(70) Carl Shapiro, Hal R. Varian, a.a.O., S. 7 [Übersetzung aus dem Englischen: M.S.].

(71) Stephan Gregory: >Kulte und Subkulte<, unter: http://www.rock-links.de/texte/stephan.htm

(72) Jan Schmidt, a.a.O., S. 62 oder auch S. 31.

(73) Douglas Rushkoff, a.a.O.

(74) Georg Franck: >Die neue Währung: Aufmerksamkeit. Zum Einfluß der Hochtechnik auf Zeit und Geld<, in: Merkur, Nr. 486, August 1989, S. 688-701; Siehe auch: Ders.: >Mentaler Kapitalismus<; Ders.: >Prominenz und Populismus. Zu Pierre Bourdieus Ökonomie des immateriellen Reichtums<. Alles unter: http://www.iemar.tuwien.ac.at/publications/public.htm

(75) Georg Franck: >Die neue Währung: Aufmerksamkeit. Zum Einfluß der Hochtechnik auf Zeit und Geld<, a.a.O., S. 19.

(76) Ebd., S. 11.

(77) Vgl. S. 14f.

(78) Ebd., S. 15.

(79) Ebd.

(80) Ebd., S. 18.

Die Geste des Bloggens

Ökonomien der Sichtbarkeit

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Ein Hausarbeits-Blog für das Hauptseminar „Televisions- und Telekommunikationsökonomie“ bei Prof. Dr. Matthias Maier von Martin Schlesinger, Medienkultur, Sommersemester 2005, Bauhaus-Universität Weimar

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