4. Neues Kapitel...

Donnerstag, 2. März 2006

...

“In the future, for manv people, real time will be Internet time."(45)
The Sun


"Time is money."
Benjamin Franklin


“Time ain´t money if all you´ve got is time.”(46)
Clay Shirky


Wie Flusser im Falle des Telefons bemerkt, handelt sich bei der Telefonnummer um einen nicht redundanten, linearen Code, der jeden einzelnen Teilnehmer einer Nummer zuordnet, und somit die Brüderlichkeit und Gleichheit der kybernetischen Gesellschaft garantiert. Die Kommunikation im Internet, die von solchen Nummerzuordnungen befreit ist – bis auf die Anwahl eines bestimmten Internetanbieters – hält für den Einzelnen variable Nummern bzw. Adressen bereit, die auf eine andere Tendenz als die Eliminierung von Redundanz verweisen. Die Ordnung im Internet ist eine andere als die des Telefonbuchs. Utopien der Computerkommunikation könnten darum den Wunsch beinhalten, die Teilnehmer lokalisierbarer und identifizierbarer zu machen. Nicht zur Kontrolle, sondern aufgrund der, vielleicht demokratischen, Erreichbarkeit. Eine andere Aussicht ist der Aufbruch in die Anonymität und die Möglichkeit zu mehreren Adressen und Identitäten auch außerhalb des Netzes, die den Kommunikationsbenutzer nicht als Ganzheit, sondern als ebenso hybrid, wie in der immateriellen Kommunikation konstruieren. Aber die Tendenz in der Materialität, und der Wunsch den Menschen mit biometrischen Daten zu erfassen, zeigen in eine andere Richtung. Über Veränderungen der politischen Kultur durch die Vernetzungen zu spekulieren ist wenig hilfreich, aber es gibt einige interessante Fälle, die auf die Konstitution einer neuen Form von kritischer Öffentlichkeit verweisen, die bestehende Zensuren, wie z.B. im Falle von Soldaten und Augenzeugen in Kriegsgebieten, als individuelle embedded Blogger, ausschalten können.(47) Andererseits entstehen auch in Blogs durch verschiedene Mechanismen Hürden, die das Veröffentlichen von Standpunkte und Kommentaren einschränken. So weist die Internet-Enzyklopädie Wikipedia darauf hin:

„Blogger sollten sich der Tatsache bewusst sein, dass Unternehmen bei Einstellungen zunehmend das Internet nach Blogs der Bewerber durchforsten. Dies kann zu Nachteilen für den Bewerber führen.“(48)

Und es sind bereits Fälle bekannt, in denen Firmen die Preisgabe interner Intimitäten sanktionierten.(49)
Die Analyse auf Konsequenzen und nach gesellschaftlichem Potential der Blogs fällt schwer, aufgrund mangelnder Methoden. Jan Schmidt bietet als Beitrag zu den New Media Studies ein kommunikationssoziologisches Modell an, das sich für andere Disziplinen öffnen will, um die Praktiken des Bloggens wissenschaftlich rahmen zu können.(50) Dieser Modell-Entwurf entspricht dem Ziel seiner Forschung – die zentral eine Falllstudie der Weblog-Community twoday.net beinhaltete – nach der Formulierung eines

„begriffliche(n) Raster(s), um Spezifika der Weblog-Kommunikation zu identifizieren. Eine solche konzeptionelle Grundlage ist besonders dringlich, weil sich mit der Diffusion von Weblogs auch die Einsatzfelder immer mehr differenzieren. Oberbegriffe wie „Weblog“ oder „Bloggen“ können der Vielfalt von Verwendungsweisen nur noch eingeschränkt gerecht werden. Stattdessen, so meine These, müssen Praktiken des Bloggens miteinander verglichen werden, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Gebrauch von Weblogs zu identifizieren.“(51)

Allgemein stellt er fest, dass es sich bei den Praktiken der Weblog-Kommunikation um dreifach gerahmtes soziales Handeln handelt:

„Technische Merkmale, die mehr oder weniger viele Optionen eröffnen, geteilte Vorstellungen und Regeln zum adäquaten Gebrauch von Weblogs, die sich in Form von Adäquanz- und prozeduralen Regeln innerhalb von Verwendungsgemeinschaften äußern, und die hypertextuellen und sozialen Netzwerke, die im Gebrauch entstehen, geben der individuellen Nutzungsepisode einen Rahmen vor, der durch die kommunikativen Handlungen selber wieder bestärkt oder verändert wird.“(52)

In Institutionalisierungsprozessen, die dialektisch einerseits die Herstellung neuer Aktionsoptionen durch technische und soziale Neuerungen, und andererseits die Verfestigung bereits existierender Routinen, Relationen und Codes verarbeiten, bilden sich nach Schmidt in den Weblog-Praktiken, durch und neben den allgemeinen Geschäftsbedingungen, diese Adäquanzregeln und prozeduralen Regeln aus, die Medienwahl und Gebrauch – ebenso die „Netiquette des Bloggens“(53) – bestimmen. So kann mit der Ädequanz Flussers Telefon-These der ungeeigneten Botschaft erklärt werden, wenn man davon ausgeht, dass ein Blog z.B. ungeeignet ist, um Kündigungen an Mitarbeiter zu verschicken.
Die Einzelanalyse der Blog-Praktiken, deren Vergleich und die Abgrenzung zu anderen Kommunikationsgewohnheiten, auch aus netzhistorischer, zeitlicher Sicht, kann nach Schmidt nur der einzig Weg sein, um das junge Phänomen beschreiben zu können. Ein Vorhaben, das aufgrund der Vielzahl der Blogs enorm, aber nicht unmöglich ist, wenn man sich zunächst beispielsweise an den ersten oder den meistfrequentiertesten Blogs in unterschiedlichen Schwerpunkten orientiert. Vor allem auch die Kombination von Blogs und „social networking tools“, wie Orkut, verschafft ein ergiebiges Forschungsfeld.

Das Internet macht in vielfältiger Hinsicht Kommunikation wahrscheinlich und sorgt für gegenseitige Erreichbarkeiten. So reduziert das Bloggen in Themen und Beiträgen auf wenige programmierte Hintergründe sein mag, so komplex gestalten sich institutionelle Verknüpfungen, differenzierte Praktiken, multimediale Texte und Metatexte. Für das Bloggen ist kein eigener Apparat notwendig. Nur das rauschende Modemsignal erinnert eventuell noch an die Leitung durch das Telefon. Dank flat rate ist eine dauerhafte Anwesenheit möglich. Der Benutzer muss sich nicht mit Programmiersprachen auskennen oder Quelltexte verstehen. Es geht ums Audiovisuelle. Computer anschalten, mit der Maus auswählen, entscheiden, klicken, tippen, einwählen, warten. Seiten und Inhalte erscheinen und aktualisieren sich je nach Verbindung oder Hardware, mit variierenden Geschwindigkeiten. Öffnen, sehen, lesen, schreiben, eingeladen werden, annehmen, registrieren, anmelden, bearbeiten, speichern, suchen, bewerten, hochladen, anfragen, akzeptieren, antworten, kommentieren, runterladen, hören, löschen, abmelden, schließen, auswählen, runterfahren. Neustart.



(45) The Sun, Baltimore, Maryland, 8.4.1999, S. 24, zitiert in: Peter Gendolla: >Internet-time, Phase II, in: Fabio Crivellari, Kay Kirchmann, u.a. (Hrsg.): Die Medien der Geschichte. Historizität und Medialität in interdisziplinärer Perspektive, UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz, 2004, S. 197.

(46) Clay Shirky: >Who are you paying attention when you pay attention?< unter: http://www.shirky.com/writings/paying_attention.html

(47) Jan Schmidt, a.a.O., S. 37.

(48) http://de.wikipedia.org/wiki/Weblog

(49) Jan Schmidt, a.a.O., S. 26f.

(50) Ebd., S. 46.

(51) Ebd., S. 65.

(52) Ebd., S. 44.

(53) Ebd., S. 24. So können z.B. Blog-Veteranen zu moralischen Autoritäten werden. Vgl. ebd., S. 54.

Die Geste des Bloggens

Ökonomien der Sichtbarkeit

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Ein Hausarbeits-Blog für das Hauptseminar „Televisions- und Telekommunikationsökonomie“ bei Prof. Dr. Matthias Maier von Martin Schlesinger, Medienkultur, Sommersemester 2005, Bauhaus-Universität Weimar

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