1. Betreff: Persoenlich

Donnerstag, 23. Februar 2006

...

"Anderswo haben Leute etwas anderes zu tun."(1)
Niklas Luhmann


Persönliche Erfahrungen sind als Quelle wissenschaftlicher Betrachtungen nicht unbedingt geeignet. Manchmal können sie allerdings hilfreich sein, wenn sie, wie zum Beispiel im Falle von Raymond Williams berühmtem Fernseherlebnis, 1979 in Miami, zu methodischen Betrachtungen führen, die das Individuelle übersteigen, Fragen aufwerfen und neue wissenschaftliche Begriffe einführen.(2) Der Engländer Williams wurde damals vom amerikanischen Fernsehen und seiner für ihn unüberschaubaren und unverständlichen Verbindung und Vermischung von Bildern unterschiedlicher Zusammenhänge verwirrt. Die zerstückelte Erzählweise versetzte ihn in einen Zustand zwischen Sinnlosigkeit und der Ahnung eines Sinns. Um eine derartig verstörende Erstmaligkeit wie dem flow Williams, geht es mir bei meinem ausschlaggebenden Ereignis allerdings nicht. Auch handelt es sich dabei um ein anderes Medium.
Während eines Auslandsstudiums in Brasilien habe ich mich neben dem gewohnten Emailverkehr zum ersten Mal auf ein Weblog eingelassen, zugegeben den Weg ins regelmäßige Veröffentlichen meiner Beobachtungen nicht gefunden, und das Schreiben und Bilderhochladen innerhalb einiger Wochen wieder aufgegeben – nachdem ich mich gefragt hatte, was ich da eigentlich mache. Da ich selbst keinen Internetzugang in meiner Wohnung besaß, war ich auf den Computerraum meiner Fakultät angewiesen, wo dieser kostenlos zur Verfügung stand. Um sicher zu gehen, dass ich einen der durchgängig belegten Plätze bekomme und nicht unbestimmte Zeit im konzentrierten Schweigen und schlecht klimatisierten Tippgeräusch warten muss, trug ich mich oft bereits morgens in eine Liste ein: Uhrzeit, Name und Matrikelnummer. Wie in meiner Heimatuniversität ermöglichte mir ein Passwort, das ich ebenso, wahrscheinlich aus Sicherheitsgründen, regelmäßig ändern musste, zusammen mit meiner Matrikelnummer den log-in an einem der Rechner. Wenn ich dabei den Blick über die Bildschirme der anderen Anwesenden schweifen ließ, fiel mir oftmals auf, dass eine Vielzahl von Studenten nach dem Windows-Startmenü auch im Internet-Explorer vor der gleichen Benutzeroberfläche verweilte. Nachdem mein soziales Netzwerk in der neuen Stadt gewachsen war, konnte ich auch erfahren, um was für eine Internetseite es sich dabei handelt: Orkut. Ein Beziehungsnetzwerk, über das viele der Brasilianischen Studenten kommunizieren und gemeinsame Aktivitäten koordinieren; Fotos ins Internet stellen und diese kommentieren.(3) Bald bekam ich per Email eine förmliche, standardisierte ‚Einladung’ eines Freundes, die mir anbot, mich ebenfalls der Orkut-Gemeinschaft anzuschließen. Was ich daraufhin auch tat – mein Enthusiasmus hielt sich jedoch, wie beim Weblog, nach einiger Zeit in Grenzen. Was für mich bei dieser Angelegenheit erstaunlich blieb, war zum einen die leibliche Präsenz und aktuelle Sichtbarkeit zahlreicher Benutzer eines virtuellen Beziehungs-Netzwerkes in einem Raum, sowie der Eindruck der beachtlichen Ablösung der SMS-, bzw. Handykommunikation, durch selbiges. Durch dessen Ablehnung stand, ähnlich vielleicht wie bei Nicht-Besitz eines Mobiltelefons und der dadurch eingeschränkten Erreichbarkeit, mein Anschluss an das Netz der neuen Freunde auf dem Spiel: Offline.



(1) Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1988, S. 218.

(2) Siehe Lorenz Engell: >Konzepte der Television<, Skript zur Vorlesung im Wintersemester 2004/05, Bauhaus-Universität Weimar, unter: http://www.uni-weimar.de/medien/philosophie/lehre/ws0405/Vorlesung%204.doc

(3) „Brasilien ist das Land mit der größten Mitgliederzahl, und übertrifft damit die USA. 72,81 Prozent der Benutzer des Systems, fast neun Millionen (~9.000.000), sind Brasilianer. In Wirklichkeit ist diese Zahl nicht exakt, da viele Teilnehmer sich mit mehreren Profilen eintragen, oder als Einwohner eines anderen Landes, (…).” [Übersetzung aus dem Portugiesischen: M.S]. Die Brasilianische Version der Seite erschien im April 2005. Vgl: http://pt.wikipedia.org/wiki/Orkut

Die Geste des Bloggens

Ökonomien der Sichtbarkeit

---

Ein Hausarbeits-Blog für das Hauptseminar „Televisions- und Telekommunikationsökonomie“ bei Prof. Dr. Matthias Maier von Martin Schlesinger, Medienkultur, Sommersemester 2005, Bauhaus-Universität Weimar

Archiv

Mai 2024
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
 
 
 
 
 

Aktuelle Beiträge

“One of the wonderful...
“One of the wonderful things about the information...
m_ART_in - 2. März, 22:56
Dies ist ein Hausarbeits-Blog...
Dies ist ein Hausarbeits-Blog für das Hauptseminar...
m_ART_in - 2. März, 18:15
“The new power lies in...
“The new power lies in the codes of information and...
m_ART_in - 2. März, 17:32
„Die Sichtbarkeit ist...
„Die Sichtbarkeit ist eine Falle.“(81) Michel Foucault...
m_ART_in - 2. März, 17:31
„Technology changes....
„Technology changes. Economic laws do not.”(54) Carl...
m_ART_in - 2. März, 17:29

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Status

Online seit 6644 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 2. März, 22:56

Credits

BlogCounter


1. Betreff: Persoenlich
2. Reale Virtualitaeten im Zeitalter irrealer Aktualitaeten
3. Private Gegenoeffentlichkeit
4. Neues Kapitel...
5. ...Neues Kapital
6. Was sICH sehen lassen kann
7. The Revolution will not be blogged
8. Bibliografie
Willkommen
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren